So kompliziert sah das Ganze eigentlich gar nicht aus: Ein Puzzle aus 62 Teilen musste wieder zusammengesetzt werden. Eigentlich ein Kinderspiel. Aber nur eigentlich, wenn man weiß, dass es sich um 62 winzige Fragmente eines über 2.000 Jahre alten Pergaments handelt. Wenn dann auch noch die Schrift mysteriös und nicht zu entziffern ist, müssen Spezialisten herangezogen werden.
Jetzt ist das Rätsel gelöst – dank zweier Forscher von der Abteilung der Bibelwissenschaften der israelischen Universität von Haifa. Eshbal Ratson und Jonathan Ben-Dov haben ihre Entdeckungen in einem Artikel für die amerikanische Zeitschrift Journal of Biblical Literature veröffentlicht. Nach einem Jahr Laborarbeiten konnte das Duo das Mysterium entziffern und hat somit eines der letzten noch nicht entschlüsselten Pergamente offengelegt.
Antike und rätselhafte Dokumente
Die meisten Schriften auf Pergament, Papyrus oder Kupfer wurden zwischen 1947 und 1956 in den Höhlen von Qumran, einer archäologischen Stätte in Zisjordanien, gefunden. Die ältesten Schriftstücke stammen aus dem dritten Jahrhundert vor Christus, das jüngste aus dem Jahr 70.
Auf allen Dokumenten geht es um Religion, das letzte Dokument ist ein Zeugnis des alten Testaments. Die Schrift ist hebräisch, aramäisch oder griechisch. Doch bei einigen Texten sind auch in einer kodierten Schrift verfasst. So auch das Pergament, das die israelischen Forscher analysiert haben.
Die geduldigen Wissenschaftler haben die 60 Fragmente des Manuskripts zusammengeführt. Die größten Teile waren 3-4 Zentimeter groß, die kleinsten nur einen Zentimeter. So haben sie herausgefunden, dass es sich bei dem Pergament um den alten Kalender der Qumran-Sekte handelt.
Ein innovativer Kalender
In dem Kalender gibt es 364 Tagen, er ist anders als der Mondkalender, der heute im Judentum verwendet wird. Der Qumran-Kalender hängt nicht von menschlichen Himmelsbeobachtungen ab und ist unveränderbar.
„Der Kalender mit 364 Tagen ist perfekt. Denn diese Zahl kann man durch 4 und 7 teilen. Große Ereignisse finden deshalb immer am selben Tag statt. Die Tage im Qumran-Kalender ändern sich nicht. Der Glauben dieser Sekte wurde dabei im Kalender berücksichtigt“, erklären die Forscher in einer Pressemitteilung.
Im 364-Tage-Kalender, eine einzigartige Anordnung, sammeln sich zahlreiche wichtige Daten, die in der Bibel fehlen. Darunter beispielsweise: Das Fest des neuen Weins und des neuen Öls, Verlängerungen des jüdischen Fests Schawuot, eine Feier zum Beginn der Ernte. Dennoch hat der Verfasser des Pergaments wohl einige Termine vergessen…
Denn Anmerkungen an den Seiten zeigen, dass ein unbekannter Korrekturleser den Kalender berichtigt hat. Auch dank seiner Notizen konnten die Forscher den Kalender entziffern.
Gründe für Verschlüsselung unbekannt
Warum eine Geheimsprache verwendet wurde, ist unklar. Der Inhalt des Textes ist nicht sehr vertraulich. Für die israelischen Forscher ist deshalb möglich, dass der Autor nicht seine Leser täuschen wollte, sondern sein eigenes Können in den Vordergrund stellen wollte.
„Durch die Verschlüsselung konnte man Prestige erlagen. Allerdings konnte man dadurch nicht 100-prozentige Sicherheit erlangen oder verhindern, dass andere Mitglieder der Gemeinschaft den Text verstehen“, erklären die Wissenschaftler.
Um ihre Arbeit abzuschließen, entziffern die Forscher jetzt noch ein zweites und letztes Pergament, das zum Erbe der Schriftrollen vom Toten Meer gehört.