Mehr als ein Jahr nach seinem Ausbruch und seiner Verbreitung auf dem ganzen Globus zieht das Coronavirus nach wie vor erschütternde Kurz- und Langzeitschäden bei den Infizierten nach sich.
Patienten mit dem "Langzeit-COVID-Syndrom" (oder "Long Covid") leiden beispielsweise unter bleibendem Geruchsverlust. Die besorgniserregenden Schäden, die die Erkrankung an verschiedenen Organen hinterlassen kann, werden deshalb von Forschenden weiter untersucht.
Coronavirus schädigt Hirngewebe
Wissenschaftler:innen des Französischen Nationalinstituts für Gesundheit und medizinische Forschung (Inserm), des Pariser Universitätskrankenhauses Pitié Salpêtrière, des Nationalen Forschungsdienstes (CNRS) sowie der amerikanischen Yale School of Medicine haben untersuchen die Auswirkungen der Coronavirus-Infektion auf das zentrale Nervensystem, also das Gehirn.
Die Ergebnisse sind beunruhigend. Sie entdecken, dass das Virus in der Lage ist, Nervenzellen direkt zu infizieren. Dadurch wird die Durchblutung im Gehirn behindert.
Doch auch Hirngewebe wird beschädigt. Diese Ergebnisse veröffentlichen die Wissenschaftler:innen am 12. Januar 2021 im Journal of Experimental Medicine.
Die Infektion behindert die Sauerstoffzufuhr
Um in diesem Körperbereich die Ausbreitung und auch die durch die Corona-Infektion hervorgerufenen Veränderungen erforschen zu können, bedienen sich die Forschenden dreier verschiedener organoider Hirnmodelle.
Das sind im Labor gezüchteter Stammzellen, die auf genetisch veränderte Mäuse zurückgehen. Zudem stützen sie sich auf Autopsien, von am Coronavirus verstorbenen Personen.
Zunächst wird anhand eines organoiden Hirnmodells festgestellt, dass SARS-CoV-2 in der Tat Neuronen infiziert und sich in ihnen vervielfältigen kann.
Die Neuronen werden dabei nicht zerstört, ihr Stoffwechsel jedoch verändert. Benachbarten Gehirnzellen, die neben den erkrankten Zellen liegen, wird dadurch der Sauerstoff entzogen.
Daraufhin sterben sie ab. Die Forschenden stellen zudem fest, dass das bekannte ACE2-Enzym für das Eindringen des Virus in die Gastzellen verantwortlich ist, genauso also wie in den Lungen.
Beunruhigender Autopsiebericht
Bei erkrankten Mäusen beobachten die Wissenschaftler:innen ebenfalls einen hohen Prozentsatz infizierter Nervenzellen. Die große Anzahl dieser infizierten Nervenzellen bewirkt weitreichende Veränderungen was das Funktionieren der Blutgefäße anbelangt.
Dadurch wird letztlich die Durchblutung des Gehirns unterbrochen. Bei den Autopsien der Gehirne dreier Patienten, die an ernsten Corona-Komplikationen mit Atmungsinsuffizienz gestorben sind, wurden Gewebeschäden und abgestorbenes Gehirngewebe festgestellt, was auf eine unzureichende Sauerstoffversorgung der Neuronen zurückzuführen ist.
Das Inserm fasst in einer Pressemitteilung die Ergebnisse der Forschergruppe um Nicolas Renier wie folgt zusammen:
Zusammen betrachtet bestätigen diese Ergebnisse, dass SARS-CoV-2 sich im Gehirn ausbreiten und die Neuronen infizieren kann. Die Ergebnisse legen auch nahe, dass die im Zusammenhang mit dem Coronavirus beobachteten neurologischen Symptome [Anm. d. R. Schwindel, Verwirrtheit, Hirnschlag, Koma] auch eine Folge dieser direkten Beeinträchtigung des zentralen Nervensystems sein können.
Weiterer Forschungsbedarf
Diese Entdeckungen liefern der Wissenschaft bedeutende Hinweise zur Entwicklung möglicher Therapien: Vielleicht kann man das ACE2-Enzym, mithilfe dessen das Coronavirus in den Körper eindringt, mit einem bestimmten Antikörper blockieren.
Oder kann vielleicht durch das Verabreichen einer Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit eine Infektion der Neuronen und zugleich auch eine Lungenentzündung verhindert werden?
Was jedoch die Neuronen betrifft, muss die zugangseröffnende Rolle des Enzyms noch durch weitere Forschungen bestätigt werden. Wie lange das dauert, weiß niemand.