Fieber, Husten, Atembeschwerden, ein Druckgefühl in der Brust, der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns: Mit fortschreitender Forschung erkennen die Experten immer mehr, dass Covid-19 zu sehr verschiedenen Symptomen führen kann. In New York berichten die Ärzte nun von einem Symptom des neuartigen Coronavirus, über das bisher noch wenig berichtet wird: Manche Kranke leiden an Verwirrung und wissen nicht mehr, wo sie sich befinden oder welches Jahr wir haben.
Krampf- und Schlaganfälle
Nun möchte man glauben, dass diese Orientierungslosigkeit die Folge von fehlendem Sauerstoff im Blut ist, braucht das Gehirn doch 20 % des durch den Körper gepumpten Sauerstoffs, obwohl es nur 2 % des Körpergewichts darstellt. Die Verwirrung, die bei den Kranken festgestellt wird, ist aber in einem solchen Ausmaß vorhanden, dass eine Beeinträchtigung der Lunge als Erklärung nicht ausreicht.
Welche Auswirkung hat das Virus auf Gehirn und Nervensystem?
Deshalb stellt sich die Frage, wie sich das Coronavirus genau auf das Gehirn und das Nervensystem auswirkt. In einer der ersten Studien zu diesem Thema, die in der Fachzeitschrift der American Medical Association (JAMA) erscheint, berichten die Ärzte, dass 36 % der 214 beobachteten chinesischen Patienten neurologische Symptome an den Tag legen, von einem Verlust des Geruchssinns über Nervenschmerzen bis hin zu Krampf- und Schlaganfällen.
Im renommierten New England Journal of Medicine erklären Straßburger Ärzte, dass mehr als die Hälfte von 58 Patienten auf der Intensivstation verwirrt oder aufgewühlt sind. Aufnahmen des Gehirns zeigen mögliche Entzündungserscheinungen.
Eine "Überhitzung" des Immunsystems?
"Wenn Sie sich verwirrt fühlen, wenn Sie Probleme beim Nachdenken haben, dann sollten Sie einen Arzt aufsuchen", so S. Andrew Josephson, Leiter der Abteilung für Neurologie an der University of California San Francisco im Gespräch mit der AFP. "Der alte Gedanke, wonach man erst zum Arzt gehen sollte, wenn man bereits außer Atem ist, gilt eindeutig nicht mehr."
Das Virus kann auf zwei verschiedene Weisen das Gehirn beeinträchtigen, erklärt Michel Toledano, Neurologe an der Mayo Clinic in Minnesota. Die erste Möglichkeit ist die Auslösung einer ungewöhnlichen Immunabwehr, die Zytokinsturm genannt wird und eine Gehirnentzündung (autoimmune Enzephalitis) hervorruft. Die zweite Möglichkeit ist eine direkte Infektion des Gehirns (virale Enzephalitis).
Die wahrscheinlichste Hypothese ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dass das Virus eine "Überhitzung" der Immunabwehr des Patienten hervorruft. Um aber sicher sein zu können, muss die Krankheit in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit nachgewiesen werden. Dies gelingt bereits bei einem 24-jährigen Japaner, dessen Fall im International Journal of Infectious Diseases besprochen wird. Die Aufnahmen seines Gehirns zeigen Entzündungen, doch die Wissenschaftler bleiben vorsichtig, da der Test nicht bestätigt ist.
40 % der genesenen Patienten suchen einen Neurologen auf
Jennifer Frontera, Neurologin am Universitätskrankenhaus in Brooklyn, nimmt an einem internationalen Forschungsprojekt teil, das darauf abzielt, das Sammeln von Daten zu standardisieren. Ihr Team registriert bereits Krampfanfälle bei Covid-19-Patienten, die diese Beschwerden davor nie hatten, und beobachtet sogar winzige Gehirnblutungen.
"Wir stellen fest, dass zahlreiche Patienten in einem verwirrten Zustand sind", berichtet Rohan Arora, Neurologe am Krankenhaus Long Island Jewish Forest Hills, in einem Gespräch mit der AFP. Er gibt an, dass 40 % der nach einer Covid-19-Infektion genesenen Patienten einen Neurologen aufsuchen. Laut dem Spezialisten dauert es bei diesen Patienten bis zur vollständigen Genesung und Rückkehr zum Normalzustand länger als bei Herzinfarkts- oder Schlaganfallpatienten.