Die Toteninsel in New York ist der größte Friedhof der Vereinigten Staaten: Hier sollen über zwei Jahrhunderte hinweg etwa eine Million Menschen begraben worden sein. In der letzten Zeit scheint Hart Island aber an seine Grenzen zu stoßen: Die abbröckelnden Küstenbereiche haben anonyme Skelette von Menschen enthüllt, die an diesem geschichtsträchtigen Ort beerdigt worden waren.
Eine Vergangenheit voller Geister
Hart Island liegt vor der Küste der Bronx und hat eine Geschichte wie aus einem Horrorfilm. Während Manche sie aufgrund ihrer (ziemlich weit hergeholten) Ähnlichkeit mit einem Herz als „Herzinsel“ bezeichneten, sind andere der Meinung, dass der Name „Hart“ („Hirsch“ in altem Englisch) daher kommt, dass die Insel früher als Jagdrevier diente. Der Autor William Styron wiederum hat eine Geschichte über einen Hirsch erfunden, der allein auf der Insel lebte, bis er von einem Jäger erlegt wurde.
Seitdem europäische Einwanderer die Insel 1654 von den Indianern abgekauft haben, gab es auf der Insel ein Heim für behinderte Menschen und solche, die zu arm waren, um allein überleben zu können, dann ein Krankenhaus, Gefängnisse, ein Straflager während des Bürgerkriegs, ein Erholungsheim und ein Atomstandort für das Nike-Projekt. Diese Vergangenheit bietet natürlich jede Menge Stoff für Rätseleien und Gerüchte.
Wenn die Toten zurückkehren
Dabei scheint es eigentlich gar nicht notwendig zu sein, seine Phantasie einzusetzen, um die Insel mysteriös erscheinen zu lassen. Vor Kurzem hat der Boden von Hart Island begonnen, aufzubrechen. Er bringt dabei die sterblichen Überreste von Hunderten anonymen Personen wieder ans Tageslicht. „Die Skelette steigen regelrecht wieder aus dem Boden auf“, erläutert Melinda Hunt, die Direktorin des Hart Island Project. „Ganze Skelette werden von der Flut an den Strand gespült.“
In dem Gebiet, das inoffiziell nun auch als „Bone's Beach“ bekannt ist, fand aufgrund von großen Unwettern in den letzten Jahren eine verstärkte Erosion statt, die nach und nach zur aktuellen Situation führte. Aufgrund des großen Medieninteresses infolge dieser Ereignisse haben die Behörden beschlossen, die Situation in die Hand zu nehmen und haben eine Gruppe Archäologen und Arbeiter auf die Insel geschickt, um den Friedhof zu untersuchen.
Eine ergreifende Zeugenaussage
Bereits 174 Skelette wurden ans Tageslicht befördert. Sie gehören vermutlich zu Soldaten, die im Bürgerkrieg gefallen sind, zu den Armen aus dem Heim oder zu totgeborenen Kindern aus der Zeit, in der sich auf der Insel noch ein Krankenhaus befand. „Jedes dieser Skelette gehört zu einem Menschen, einem New Yorker“, betont Mark Levine, Mitglied des Stadtrats von Manhattan.
„Die meisten dieser Menschen waren marginalisiert und von den anderen vergessen. Als sie beerdigt worden waren, wurden sie erneut vergessen und sind nun durch einen fatalen Schlag gegen ihre Würde in ihrer Ruhe gestört worden.“ Es bleibt zu hoffen, dass die Aufmerksamkeit, die die Medien auf die Situation auf Hart Island lenken, dazu führen wird, dass der Boden so gesichert wird, dass keine weiteren Geister der Vergangenheit mehr an die Oberfläche kommen.
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