Die forensischen Anthropologen Eric Crubézy und Bertrand Ludes sowie weitere Spezialist:innen des Französischen Instituts für Ostasienforschung (IFRAE) haben die vor 40 Jahren in einer ungewöhnlichen Grabstätte in Saint-Paul-Trois-Châteaux (Auvergne Rhône-Alpes) gefundenen Beweise für ein brutales Ritual, das in der Vorgeschichte mindestens zwei Jahrtausende lang durchgeführt wurde, neu analysiert. Ihre Ergebnisse in Sciences Advances veröffentlicht worden.
Sterbliche Überreste in seltsamen Körperhaltungen
Erst 1984 wurden an dieser 5.600 Jahre alten Fundstelle im Rhonetal die Skelette von drei Frauen in einer siloähnlichen runden Struktur identifiziert.
Ihre Anordnung war einzigartig: In der Mitte der Grube lag die Älteste auf der Seite, die Knie leicht gebeugt; die beiden anderen waren in "unnatürlichen" Positionen verrenkt, versteckt unter zerbrochenen und gestapelten Mühlsteinen, wie in der Zeitschrift Science weiter ausgeführt wird.
Als die Entdeckung in Saint-Paul-Trois-Châteaux gemacht wurde, wusste der forensische Anthropologe Eric Crubézy, der gerade seinen Abschluss an der medizinischen Fakultät gemacht hatte, nicht, was er von dieser seltsamen (und damals noch nicht veröffentlichten) Anordnung der Knochen halten sollte.
Vierzig Jahre später vertritt er jedoch zusammen mit Bertrand Ludes und anderen Co-Autor:innen in dem neu veröffentlichten Artikel die Ansicht, dass zwei der Frauen zwischen etwa 4.000 und 3.500 v. Chr. durch "selbst zugefügte positionelle Strangulation" getötet worden seien.
Diese Foltertechnik ist in der italienischen Mafia unter dem Namen "incaprettamento" bekannt. Sie wird gemacht, um "ein Beispiel zu geben und andere abzuschrecken", erklärt Bertrand Ludes gegenüber Science. "Die Opfer werden auf den Bauch gelegt, mit einem Seil um ihre Knöchel und ihren Hals, und das Gewicht ihrer Beine würgt sie langsam."
Aufgrund dieser Position ist das Ersticken unvermeidlich. "Es ist wirklich ein Albtraum", fügt Éric Crubézy hinzu. "Es ist sehr grausam - die Menschen werden gezwungen, sich selbst zu erdrosseln".
Opfer als Fruchtbarkeitsritual?
Weit entfernt von mafiösen Praktiken könnte das Opfer der Steinzeitfrauen Teil einer Zeremonie gewesen sein, an der viele Mitglieder ihrer Gemeinschaft beteiligt waren. An der neolithischen Stätte entdeckten die Forscher:innen keine Spuren einer dauerhaften Siedlung.
Tierknochenhaufen, die von Festessen zeugen, sowie Töpferwaren und Steinwerkzeuge, die chemisch analysiert wurden und aus einem Umkreis von Dutzenden von Kilometern stammen, deuten darauf hin, dass die Menschen bei großen Versammlungen, vielleicht im Rahmen von Ritualen, dorthin kamen.
In der Mitte des Geländes wurden auch runde Strukturen gefunden, von denen einige - insbesondere das Grab der drei Frauen - von ovalen Gräben umgeben waren, deren Öffnungen auf die Sommer- und Wintersonnenwende ausgerichtet waren.
Den Forscher:innen zufolge deutet alles auf Rituale hin, die möglicherweise mit Fruchtbarkeit zu tun haben, einer verbreiteten Obsession dieser Bevölkerungsgruppen, die zum Überleben auf Sonne und Regen angewiesen waren.
Eine im Neolithikum verbreitete Folterpraxis
Mehr noch: In ihrer Studie legen die Autor:innen nahe, dass die Opfer dieser Frauen Teil einer neolithischen Tradition gewesen sein könnten, die unter den frühen europäischen Bauern verbreitet war.
Bei der Durchsicht der vorhandenen anthropologischen und archäologischen Literatur identifizierten sie zwanzig weitere ähnliche Fälle: Eine Position der Skelettreste, die auf ein incaprettamento hindeutet oder Steine enthält, die auf ihrem Torso gestapelt sind; das Vorhandensein von Mühlsteinen, Tierresten und den berühmten "Silo"-Strukturen.
Sie wurden an 15 Orten in einem Gebiet von Polen bis Katalonien in Spanien gefunden und alle auf die Jungsteinzeit zwischen 5.400 v. Chr. und 3.500 v. Chr. datiert, als sich die Landwirtschaft in ganz Europa ausbreitete - und auch die Gewalt.
Das älteste Beispiel für "selbst zugefügte positionelle Strangulation" stammt aus der Zeit von 5.400 - 4.800 v. Chr.. Den Forscher:innen zufolge deutet dies darauf hin, dass sie als gängige Opfer- und Ritualpraxis über 2.000 Jahre lang auf dem alten Kontinent fortbestanden haben könnte.
"Dieses kulturelle Phänomen könnte sich in Mitteleuropa diversifiziert und fast zwei Jahrtausende lang in unterschiedlichen Rhythmen durchgeführt worden sein, bevor es am Ende des Mittelneolithikums seinen Höhepunkt erreichte", fügen sie hinzu. Um 3.500 v. Chr. habe dann ein kultureller Wandel über Westeuropa hinweggefegt. Die Menschen hätten es vorgezogen, sich um megalithische Steingräber (Dolmen) zu versammeln.
Während diese Forschungsergebnisse faszinierend sind, haben andere Wissenschaftler mehr Zweifel an diesen Interpretationen. Penny Bickle, Archäologin an der Universität York (England), betont in Science, dass die Knochen allein nicht verraten können, ob die Opfer durch Strangulation gestorben sind, geschweige denn, ob sie zum Zeitpunkt ihrer Bestattung bei Bewusstsein waren, Substanzen eingenommen haben oder sogar lebten.
"Ich bin davon überzeugt, dass es Menschenopfer gegeben hat, aber wenn es um die Idee geht, dass über einen so langen Zeitraum eine einheitliche Kosmologie am Werk war, bin ich vorsichtiger", fügt sie hinzu
Diese Knochenfunde sind nicht die ersten, die für Aufruhr sorgen - zuletzt ist etwa ein 3.000 Jahre altes Grab entdeckt worden, welches Forscher:innen Aufschluss über die damaligen Bestattungsriten gegeben hat. Weiterhin hat der Fund des Skeletts einer Schwangeren, die noch im Grab entbunden haben soll, für Schock gesorgt. Außerdem hat der Fund von etwa 3.000 Jahre alten Gräbern in Mexiko Forscher:innen in Aufregung versetzt.
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Verwendete Quellen:
Sciences Advances: "A ritual murder shaped the Early and Middle Neolithic across Central and Southern Europe"
Aus dem Französischen übersetzt von GEO