Ob uns einfach ein Wort fehlt, wir die Einkaufsliste zu Hause liegen lassen oder den Video-Call vergessen: In Zeiten von Lockdowns berichten immer mehr Leute über ihre auffällige Vergesslichkeit. Catherine Loveday, Professorin für kognitive Neurowissenschaften an der University of Westminster, widmete sich diesem Phänomen. In ihrer Studie verwendete sie den Everyday Memory Questionnaire, der die Teilnehmer auffordert, verschiedene Aspekte ihres Gedächtnisses subjektiv zu bewerten. Darin kommen Fragen wie diese vor:
- Haben Sie vergessen, jemandem etwas Wichtiges zu sagen?
- Haben Sie angefangen, etwas zu lesen, nur um dann festzustellen, dass Sie es bereits gelesen haben?
Für diese Untersuchung der Gedächtnisleistung in Zeiten von Corona konnten die Probanden bei jedem Item angeben, ob sich ihr Gedächtnis während der Pandemie verbessert, gleich geblieben oder verschlechtert hat. Und die Daten scheinen die Beobachtungen der breiten Masse zu bestätigen.
Wenn die Tage miteinander verschwimmen..
Während einige wenige Glückliche der Meinung waren, dass sich ihr Gedächtnis in dem letzten Jahr gar verbessert habe, gaben 80% der Teilnehmer an, dass sich mindestens ein Aspekt ihres Gedächtnisses verschlechtert habe, ein deutlich höherer Prozentsatz, als wir normalerweise erwarten würden.
Die häufigste Einschränkung war das Vergessen eines bestimmten Ereignisses oder Vorfalls. Dies wollten 55% der Befragten vermehrt bei sich beobachtet haben. Dies deutet darauf hin, dass die Pandemie unsere Wahrnehmung von Zeit beeinflusst, was kaum verwunderlich ist. Denn einige Erinnerungen sind mit einem sogenannten Zeitstempel verbunden. Wenn eine Erinnerung einmalig, lebendig und persönlich berührend ist, wird sie zu einer Geschichte, die wir in unserer Umgebung erzählen. So können wir diese Erinnerung genau in die Zeitleiste unseres Lebens einordnen.
Tatsächlich scheinen sogar einige der Menschen mit Elefantengedächtnis, die sich an Ereignisse wie den Kauf eines Kinotickets vor 20 Jahren erinnern, weil sie ein sehr überlegenes autobiografisches Gedächtnis haben, feststellen, dass sie immer mehr Dinge vergessen.
Das soziale Leben auf Sparflamme
Der Grund? Der zentrale Faktor ist die Isolation. Wie wir bereits wissen, wirkt sich ein Mangel an sozialen Kontakten negativ auf das Gehirn aus. Das Wiedergeben von Geschichten hingeben hilft uns, unsere Erinnerungen an das zu festigen, was in unserem Leben passiert ist – sogenannte episodische Erinnerungen zu kreieren. Wenn wir nicht mehr so viele Kontakte knüpfen können, ist es nicht verwunderlich, dass sich unsere Erinnerungen nicht so greifbar anfühlen wie üblich. Bei Alzheimer-Kranken kann das Ausmaß der Einsamkeit sogar den Krankheitsverlauf vorhersagen.
Aber es steckt noch mehr dahinter als ein Mangel an Geselligkeit. Viele Leute erwähnen jetzt das Gefühl einer Angst vor dem Leben. Selbst wenn Sie wissen, wie viel Glück sie haben und wie viel schlechter es anderen geht, ist das Gefühl, die Welt sei ein unsichererer Ort geworden, schwer von uns abzuschütteln. Inzwischen sind laut derStiftung Deutsche Depressionshilfe mehr als fünf Millionen Deutsche an Depressionen erkrankt. Diverse Studien weltweit weisen daraufhin, dass der Anteil der Depressiven seit Ausbruch der Pandemie angestiegen ist. Es ist bekannt, dass sowohl Depressionen als auch Angstzustände einen Einfluss auf das Gedächtnis haben.