Die wörtliche Übersetzung des chinesischen Ausdrucks “Tiankeng” lautet “Himmlische Grube” – wissenschaftlich gesehen handelt es sich dabei um eine poetische Beschreibung für eine riesige Sinkgrube, also ein großer Krater mit steilen Wänden, der nach oben hin offen ist. Diese Grotte ist nur eine von vielen Karstgruben, die die Wissenschaftler erkundenwollten, und deren riskante Erforschung zu einer sehr unerwarteten Entdeckung führte.
Es ist diesmal keine mysteriöse Zivilisation, die beeindruckt, sondern ein Fleckchen unberührte Natur. Insgesamt hat die Höhle eine Größe von 6,7 Millionen Kubikmetern. Ins Leben gerufen wurde die Expedition von einem chinesisch-britischen Team, geleitet von Zhang Yuanhai, einem Mitglied des Instituts für Karst-Geologie an der Chinesischen Akademie für Geowissenschaften, und Andy Eavis, Vorsitzender der Britischen Höhlenwanderungsvereinigung. Vom 4. bis zum 8. Oktober 2018 erkunden 19 mutige Forscher, ausgestattet mit nur einem Kletterseil, jeden Winkel der Höhle.
Eine Weltklasse-Höhle
“Die Höhle ist von einer weltweit außergewöhnlichen Größe”, berichten die Experten gegenüber dem offiziellen Magazin des Chinesischen Ministeriums für Wissenschaft und Technik. Die im Wald von Guangxi, einer autonomen Region im Süden Chinas, gelegene Höhle "wurde ein Jahr zuvor bei der Hong Kong-Expedition entdeckt und deshalb Hong Kong Haiting Hall genannt", erklärt der Leiter des chinesisch-britischen Teams Zhang Yuanhai.
Ziel der zweiten Expedition war es, in die Höhle hinabzusteigen und herauszufinden, wie groß sie wirklich ist. “Diesmal konnten wir mithilfe von 3D-Scans das genaue Volumen der Höhle und ihren Weltklassestatus ermitteln”, erklärt Zhang Yuanhai. Damit gehören die Vermessungen dieses Naturdenkmals zu den ehrgeizigsten Errungenschaften der Menschheit. Eine wunderschöne Naturlandschaft enthüllt sich vor ihren Augen.
Die Größe einer Kathedrale
100 Meter breit, fast doppelt so lang und fast 120 Meter tief… Diese schwindelerregenden Zahlen sind nur der Anfang einer Reihe erstaunlicher Entdeckungen, die die Höhle zu bieten hat: Im südlichen Teil öffnet sie sich zu einem außerordentlichen unterirdischen Höhlennetzwerk.
Gänge, riesige Hallen, klaffende Schluchten... Aber auch eingestürzte Höhlen und Pfeiler. Und um das Ganze noch zu toppen, finden die Forscher mineralische Formationen, die auch als "Höhlenperlen" bekannt sind: Eine Traube vom Wasser geschliffener Kalksteine. Dieses Wasser stellt die Forscher vor ein Rätsel und führt sie schließlich zu einem Durchgang, der die Höhle mit einem unterirdischenFluss verbindet, der in den örtlichen Fluss Panyang mündet.
Rom wurde nicht an einem Tag erbaut
Neben der Ermittlung der Größe der Höhle hilft der 3D-Scan auch dabei, die Geschichte der Höhle zu ergründen. Der Forscher Zhang Yuanhai erklärt dabei Folgendes:
Mithilfe des 3D-Scans konnten wir einiges über die Entstehung der Krater erfahren, vor allem anhand der Spuren der Gesteinsbewegung, die durch den Einsturz hervorgerufen wurden und deutlich sichtbar sind, lassen sich die Entstehungscharakteristika dieser Tiankeng erkennen.
“Die Entstehung der Höhlen war keine einmalige Sache, sondern geht auf zwei Millionen Jahrezurück“, schließt Zhang Yuanhai. Millionen von Jahren haben zu der Entstehung dieser außergewöhnlichen “Himmlischen Grube” geführt, deren unterirdische Formationen dem Firmament in ihrer Eindrücklichkeit tatsächlich Konkurrenz machen...