Es ist ein schockierender, auffälliger Anblick an einem friedlichen Berghang. Wer im späten Frühjahr und im frühen Sommer in den französischen Alpen hoch genug wandern geht, wird zu einer grosen Wahrscheinlichkeit bald zwischen grauen Kalkstein und den verkümmerten Vegetationsgruppen auf ziemlich seltsame Schneeflecken stoßen. Dieser Schnee ist nicht weiß – er ist blutrot.
Ein Abwehrmechanismus der Natur
Das eigentümliche Phänomen – manchmal auch als Blutschnee bezeichnet – ist das Ergebnis eines Abwehrmechanismus, der von mikroskopisch kleinen Algen erzeugt wird, die im Alpenschnee wachsen. Normalerweise haben diese Mikroalgen eine grüne Farbe, da sie Chlorophyll enthalten, die Familie von Pigmenten, die von den meisten Pflanzen produziert wird, um ihnen dabei zu helfen, Energie aus dem Sonnenlicht zu absorbieren. Wenn die Schneealgen jedoch stark wachsen und starker Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind, produzieren sie rot gefärbte Pigmentmoleküle, sogenannte Carotinoide, die quasi als Sonnenschutz ihr Chlorophyll schützen.
Während rote Schneealgen schon seit langem bekannt sind, stecken sie immer noch voller Geheimnisse, die Wissenschaftler:innen zu lüften versuchen. Erst vor zwei Jahren haben Botaniker:innen der Karls-Universität Prag in der Tschechischen Republik eine völlig neue Gattung von Mikroalgen identifiziert, die in verschiedenen Teilen der Welt für die Entstehung von rotem und orangefarbenem Schnee verantwortlich ist. Die Forscher fanden Formen von Sanguina-Algen, die roten Schnee sowohl in Europa, Nordamerika, Südamerika sowie in beiden Polarregionen verursachen. Auf Spitzbergen wurde auch eine Sanguina-Art gefunden, die einen ungewöhnlichen orangefarbenen Schnee verursacht.
Weit verbreitetes Phänomen
Es ist jedoch nicht die einzige Art von Mikroalgen, die für roten Schnee verantwortlich ist. Mehrere andere Arten, wie Chlamydomonas nivalisund eine Alge, die in der Nähe von antarktischen Pinguinkolonien namens Chloromonas polyptera wächst, produzieren ebenfalls Pigmente, um rot und rosa gefärbten Schnee zu erzeugen.
Aber mehr über rote Schneealgen zu erfahren, ist nicht nur wichtig, um eine Erklärung für die seltsamen Farbflecke in den Alpen und in der Nähe der Pole zu finden. Sein Auftreten und Verschwinden sind zudem auch wichtige Anzeichen für den Klimawandel und wie er die empfindlichen Ökosysteme beeinflusst, in denen die Algen vorkommen.
Laut Liane G. Benning, Professorin für Grenzflächengeochemie am Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam, kommt es aufgrund der globalen Erwärmung immer häufiger zu rotem Schnee.
Der Anstieg des atmosphärischen Kohlendioxidgehalts erhöht die Temperatur, was zu mehr Schneeschmelze führt. Sobald flüssiges Wasser auf dem Schnee liegt, beginnen die Algen zu wachsen.
Ein gefährlicher Teufelskreis
Diese zunehmende Menge an roten Schneealgen kann auch zum Klimawandel beitragen. Das rote Pigment verdunkelt die Schneeoberfläche und reduziert die Licht- und Wärmemenge, die sie in den Weltraum zurückreflektiert – der sogenannte Albedo-Effekt. Durch das Einfangen von mehr Sonnenwärme schmilzt der Schnee noch schneller und die Algen können sich weiter vermehren. Professor Benning erklärt gegenüber der BBC:
Es gibt einen Runaway-Effekt, bei dem die Algen ihren bevorzugten Lebensraum zum Schmelzen bringen. Es ist, als würden sie ihr eigenes zu Hause zerstören.
In größerem Umfang kann die vom getönten Schnee absorbierte zusätzliche Wärme die Temperatur in der weiteren Umgebung verändern und das Schmelzen von Schneedecken und Gletschern beschleunigen. Einer Studie zufolge könnten die rotpigmentierten Algenblüten während einer einzigen Schmelzsaison die Schneealbedo um 13% reduzieren.
Satellitenbilder deuten auf weite Verbreitung hin
Das deutet darauf hin, dass sie eine wichtige Rolle dabei spielen, wie die Auswirkungen des Klimawandels in Bergregionen verstärkt werden können. Sie führt weiter aus:
Tests an Proben, die im Juni gesammelt wurden, haben die Anwesenheit von einzelligen Organismen, genannt Zooplankton, mit den Algenzellen gezeigt.
Studien haben gezeigt, dass Rotalgenblüten auf Gletschern der ganzen Welt vorkommen, von der Antarktis bis zum Himalaya und in der Arktis. Eine Frage, die Wissenschaftler wie Benning und Eric Maréchal, Direktor des Labors für Zell- und Pflanzenphysiologie in Grenoble, Frankreich, gerne beantworten könnte, lautet, ob rote Schneealgenblüten immer weiter verbreitet und häufiger auftreten.
Eine Möglichkeit, dies herauszufinden, wäre die Verwendung von Satellitenbildern, um die albedoreduzierende Wirkung des roten Schnees zu untersuchen. Eine Studie mit Satellitenbildern von Schneefeldern auf der Fildes Peninsula auf King George Island vor der Küste der Antarktis ergab, dass im Januar 2017 26% des Schnees durch Algen verdunkelt waren.