In einem Interview mit der BBC betont die First Lady der Ukraine, Olena Selenska, wie wichtig es sei, echte menschliche Geschichten zu erzählen. Nicht die Zahl der abgeworfenen Bomben, nicht die Höhe der angeblich verschwendeten Geldsummen, sondern ihre Held:innen seien die wahren Gesichter des Krieges.
Liebe und Hoffnung
Das Erlebnis von Elena Belinskaya, einer ukrainischen Frau und Mutter, zeigt, was Liebe und Hoffnung inmitten der Zerstörungen des Krieges bedeuten. Diana Nilsson, eine langjährige Kollegin und Freundin von Elena, die deren bewegende Geschichte jetzt mit der Welt teilen möchte, bleibt in engem Kontakt mit ihr und tauscht seit Beginn der russischen Invasion Nachrichten und Anrufe aus.
Elena, eine Interface-Designerin und Fotografin aus Charkiw in der Ukraine, ist hochschwanger, als ihr Land Ende Februar von Russland angegriffen wird. Sie und ihr Partner träumten schon seit einiger Zeit von einem zweiten Kind und es war an der Zeit, dem Warten ein Ende zu setzen; als Elena hochschwanger ist, bricht plötzlich der Krieg aus.
Auf sich allein gestellt
Die ohrenbetäubenden Sirenen, die vor einem Luftangriff warnen, erklingen, als Elena aufgrund von gesundheitlichen Komplikationen auf der Entbindungsstation liegt. Sie ist allein, denn ihr Lebensgefährte Nikolai Medvedev und die Tochter der beiden, Slava, befinden sich in ihrem zweiten Haus 70 Kilometer von Charkiw entfernt. Elena schreibt an einen Freund:
Das ganze Land ist um 5 Uhr morgens durch die Explosionen aufgewacht. Ich bin angezogen und bereit, in den Luftschutzkeller zu gehen. Ich kann nicht verstehen, warum das jetzt passiert. Es ist wie eine parallele Realität.
Bombenangriff aus der Luft
Als die Angriffe auf Charkiw zunehmen, fliegen die Raketen direkt über das Dach des Krankenhauses und explodieren nebenan.
Ich bin gelähmt vor Angst. Ich wünsche dir, dass du diese Gefühle nie kennenlernst oder sie dir auch nicht annähernd vorstellen kannst ... Niemals.
Als Elena allein im Krankenhaus liegt, hört sie immer wieder die ersten Schreie von neugeborenen Babys.
Ein Wunder
Ihr Kind, der kleine Dima, wird unter dem Lärm explodierender Bomben in der vom Krieg zerstörten Stadt geboren. Es ist wie ein Wunder inmitten des Chaos, ein neues Leben inmitten von Toten. Elena liegt lange in den Wehen, sodass sie sich einem Kaiserschnitt unterziehen muss. Ihr Dima ist winzig, nur 2,3 Kilogramm schwer; er bleibt in einem Inkubator, bis er selbstständig atmen kann. Halb bewusstlos von der Narkose, ohne Familie in der Nähe, nimmt Elena Dima zum ersten Mal in ihre Arme:
Ich habe gerade mein Baby gesehen. Es ist pures Glück.
Hilfsbereite Menschen
Doch der Angriff auf Charkiw, wie auch die Diskussionen mit westlichen Politiker:innen über militärische Hilfe, geht weiter. Die Menschen in den vom Krieg zerrütteten Regionen müssen ihre eigenen kreativen Wege zum Überleben finden:
Die Leute sind zusammengerückt. Nachbarn backen Brot und teilen es. Wir haben Obst im Krankenhaus und haben sogar Pfannkuchen gebacken, um heute das Volksfest Maslenitsa zu feiern. Die Menschen verlieren ihren Kampfgeist nicht.
Zurück bei ihrer Familie
Es dauert vier lange Wochen, bis Elena wieder mit ihrem Partner und ihrer Tochter zusammenkommt, diesmal mit Nachwuchs. Im Laufe der Wochen lässt sich die Familie im Landesinneren nieder. Im Glauben, dass es dort ruhig sei, rechnet die Familie nicht damit, dass sie zur Zielscheibe der russischen Streitkräfte werden würden.
Als sich immer mehr positive Nachrichten vom ukrainischen Militär verbreiten und der Frühling in voller Blüte steht, fühlt sich Elena wieder wohl:
Ich freue mich, dass die Ukraine den Eurovision Song Contest gewonnen hat, aber noch mehr freue ich mich, wenn unsere Streitkräfte Videos aus den neu befreiten Gebieten veröffentlichen. Dima wird immer stärker. Er hat angefangen, im Schlaf zu lächeln. Leider kann ich nicht sagen, dass ich mich sicher fühle. Aber wir glauben an das Beste und unterstützen uns gegenseitig.
Schlaflose Nächte
Es ist ein warmer Juniabend. Wären da nicht die Geräusche in der Ferne, könnte Elena vergessen, dass sich ihr Land im Krieg befindet. Sie hat Angst, also geht sie mit ihrem Sohn Dima in den Garten, um ein wenig frische Luft zu schnappen.
Elena ist sich jetzt sicher, der Krieg endet mit dem Gewinn seitens der Ukraine. So wie die Vögel immer noch singen und der Apfelbaum in ihrem Garten trotz der Verwüstung blüht, würde sie ihre Kinder wachsen sehen und ihr Himmel würde wieder klar sein.
Plötzlich hört Elena einen lauten Knall. Sie schnappt sich Dima und rennt unter einen Apfelbaum. Da erkennt sie, dass es sich um das vertraute Geräusch der Russian Grads handelt und umarmt ihr Baby fest. Ab da ist alles wie ausgelöscht. Die ukrainische Mutter stirbt an jenem Juniabend, noch bevor der Krankenwagen sie erreicht. "Elena ist nicht mehr", lautet die kurze Nachricht ihres Partners an die Freundin, die von Elenas Schicksal berichtet. Nikolai sagt später:
Ich fand sie unter einem Apfelbaum... Ein Stück Splitter traf sie ins Auge... Sie atmete noch, aber ich wusste, das es keine Hoffnung mehr gibt. Dima lag weinend neben ihr auf dem Boden.
Dima erleidet mehrere Verletzungen und muss von den Ärzt:innen operiert werden. Das tapfere Baby hat alle Schrecken des Krieges durchlitten und ist weiterhin in Behandlung.
Elena ist eines der Gesichter des ukrainischen Freiheitskampfes und seines Sieges in diesem grausamen Krieg. Ihr könnt die Familie von Elena hier unterstützen.
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Aus dem Englischen übersetzt von Ohmymag UK