Seit dem Beginn der Impfkampagne haben sich in Großbritannien etwa 1.500 Personen gemeldet, die nach ihren Coronavirus-Impfungen an Tinnitus litten. Insgesamt etwa 200.000 Personen haben ein Erfassungssystem der britischen Aufsichtsbehörde MHRA genutzt (genauer das Yellow Card System), um dort über mögliche Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe zu berichten.
In etwa 1.500 der erfassten Berichte ist zu lesen, dass Patienten nach ihrer Impfung ein Pfeifen in ihren Ohren entwickelt haben. Die Fälle treten zu gleichen Teilen bei Personen auf, die entweder mit dem Impfstoff von Pfizer oder demjenigen von Astra/Zeneca geimpft worden sind.
Können Corona-Impfstoffe Tinnitus auslösen?
Die Britische Tinnitus-Vereinigung (The British Tinnitus Association, BTA) hat die genannten Berichte verworfen, da diese ihrer Meinung nach nicht beweisen können, dass die Corona-Impfstoffe Tinnitus hervorrufen oder verschlimmern. Selbst wenn dies zutreffen sollte, würde es sich hierbei um eine extrem seltene Nebenwirkung handeln.
Denn nur eine Person von 24.000 wäre dann davon betroffen. Die BTA hat ferner darauf hingewiesen, dass das womöglich von den Impfstoffen hervorgerufene Pfeifen in den Ohren sich vielleicht nur als vorübergehend erweisen kann. Die BTA erklärt hierzu im Einzelnen:
Die uns vorliegenden Information scheinen zu zeigen, dass die Corona-Impfstoffe sicher und sämtliche mögliche Nebenwirkungen wahrscheinlich harmlos sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Impfstoffe Tinnitus hervorrufen oder verschlimmern, scheint sehr gering zu sein.
Die BTA bestätigt zudem, dass keiner der im Vorfeld von den Impfstoffen durchlaufenen Testversuche Tinnitus als Nebenwirkung aufgeführt hat. In einem vergleichbaren Erfassungssystem in den USA (genauer dem Vaccine Adverse Event Reporting System, VAERS), das von der Behörde für Krankheitskontrolle (Centers for Disease Control and Prevention, CDC) zur Verfügung gestellt wird, sind 369 Berichte von geimpften Patienten eingegangen, die nach der Impfung über Tinnitus klagen. Vergleicht man diese Zahl mit den 56.722 insgesamt vorgelegten Berichten, kommt man wieder auf einen sehr geringen Prozentsatz.
Sechs Testpersonen, die am dreistufigen Testversuch von Johnson & Johnson teilgenommen haben, klagen ebenfalls über Tinnitus. Die US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (The United States Food and Drug Administration, FDA) hat aber geschlossen, dass diese Zahl zu gering ist, um Tinnitus als Nebenwirkung zu betrachten. Alle an Tinnitus Leidenden haben angeblich vorausgehende Gesundheitsprobleme gehabt, die bei der Entwicklung von Tinnitus mitgewirkt haben.
Wird Tinnitus eher durch die Corona-Erkrankung als durch die Corona-Impfung hervorgerufen?
Gegenwärtig liegen keinerlei Untersuchungen vor, die Tinnitus mit irgendeinem Corona-Impfstoff in Bezug setzen. Tinnitus kann vielleicht dagegen eher als Nebeneffekt einer Corona-Infektion betrachtet werden. Was die BTA betrifft, ist dort ein 256%iger Anstieg im Web-Datenverkehr zwischen Mai und Dezember letzten Jahres festgestellt worden, also bevor irgendeiner der Impfstoffe zur Verfügung gestanden hat.
Eine an der Universität Manchester durchgeführte Untersuchung ist letzten Juli im International Journal of Audiology publiziert worden und zu dem Ergebnis gekommen, dass 15% der im Krankenhaus behandelten Corona-Patienten Gehörprobleme entwickelt haben, unter denen auch Tinnitus auffällt.
Eine andere, diesmal in Frontiers in Public Health veröffentlichte Untersuchung will erkannt haben, dass es bei 40% der Testpersonen zu einer Verstärkung des schon vorhandenen Tinnitus gekommen ist. Bei 54% sind keinerlei Veränderungen festgestellt worden, während 6% der Testpersonen angegeben haben, dass das Coronavirus bei ihnen eine Verringerung des chronischen Ohrenpfeifens bewirkt hat.
Seit Dezember 2020 steht Tinnitus auf der offiziellen Liste der Symptome der Long-Covid-Erkrankungen. Professor Nirmal Kumar, Hals-Nasen-Ohr-Chirurg am Wigan and Leigh NHS Foundation Trust im britischen Wrightington ist Präsident der britischen Hals-Nasen-Ohr-Vereinigung. Laut Professor Kumar liegt es vielleicht an dem mit dem Coronavirus verbundenen Stressfaktor, dem hier die Schuld zukommt. Das sagt er zumindest gegenüber der Daily Mail:
Tinnitus kann durch Stress hervorgerufen und verschlimmert werden. Wir beobachten gerade, dass Patienten gerade aufgrund der Folgen des Lockdowns Probleme mit einer Tinnitusverschlechterung haben.
Shaowen Bao, Professor für Neurowissenschaft und Physiologie an der University of Arizona in den USA hat auf der Website Drug Discovery and Development erklärt, dass das Ohrenpfeifen vielleicht auch von einer Neuroinflammation ausgelöst werden kann. Bao vermutet, dass sowohl die Corona-Impfstoffe als auch die Corona-Erkrankung eine beträchtliche Immunantwort auslösen, die dann ihrerseits zu einer Zytokinfreisetzung führt. Diese letztere kann manchmal zu einer Entzündung führen, die dann ihrerseits mit Tinnitus in Verbindung gebracht werden kann. Bao fasst das wie folgt zusammen:
Menschen, die vorausgehende Probleme mit Gehörverlust haben, laufen eine größere Gefahr von einer Corona-Erkrankung oder den Corona-Impfstoffen geschädigt zu werden.
Zuvor hat Bao zur Rolle von Neuroinflammationen und Zytokin bei Gehörverlust geforscht. Seine dazu 2020 veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss:
Ein krankheitsbedingter Anstieg einer entzündungsfördernden Zytokinausschüttung im Gehirn kann ein Risikofaktor sein, sowohl für eine lärmbedingte Störung der auditorischen Verarbeitung als auch für Tinnitus.
Können Corona-Erkrankungen also Tinnitus auslösen oder verschlimmern, bleibt immer noch die Frage offen, ob Corona-Impfstoffe dieselben Effekt haben können. Professor Nirmal Kumar spekuliert hierzu gegenüber der Daily Mail:
Es kann völlig zufällig sein oder vielleicht eine echte Folgeerscheinung, die aber sehr selten ist. Die Impfstoffe lösen eine ähnliche Immunantwort aus. Man kann vielleicht also annehmen, dass das auf die Nerven im Ohr dieselbe Auswirkung hat. All das ist aber nicht mehr als eine Theorie und unmöglich nachzuweisen.