Immer mehr Millennials, also Menschen, die zwischen den Jahren 1980 und 1999 geboren wurden, sind von Burnout betroffen. Die Gründe dafür sind verschieden und können Unsicherheit sowohl im beruflichen als auch im Privatleben sein. "Nicht nur im Job ist längst nicht mehr alles so sicher und planbar wie früher", sagt Dr. Torsten Grüttert, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Chefarzt der Privatklinik Duisburg. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news klärt der Experte über die wichtigsten Fakten rund um das sogenannte Millennial-Burnout auf.
Warum sind Millennials häufig burnout-gefährdet?
Dr. Torsten Grüttert: Untersuchungen weisen in der Tat darauf hin, dass das Burnout-Syndrom bei der Millennial-Generation besonders stark zunimmt. Man vermutet dafür verschiedene Gründe, unter anderem die zunehmende Unsicherheit in Beruf und Privatleben, aber auch in finanzieller Hinsicht. Nicht nur im Job ist längst nicht mehr alles so sicher und planbar wie früher. Zu den Zukunftsängsten kommen eine wachsende Komplexität der täglichen Aufgaben, die "Pflicht" permanenter Erreichbarkeit sowie eine viele Menschen verunsichernde Digitalisierung in allen Bereichen. Davon abgesehen nimmt auch bei noch jüngeren Menschen das Burnout-Syndrom zu. Oftmals sind bereits Schüler betroffen.
Was sind die häufigsten Ursachen für krankhafte Erschöpfung bei Millennials?
Grüttert: Arbeitsverdichtung und ständiger Leistungsdruck - das sind zwei der primären Ursachen für eine krankhafte Erschöpfung. Für die Millennials, wozu primär Menschen um die 30 zählen, die ja im digitalen Zeitalter groß geworden sind, ist ein Leben ohne Internet, soziale Medien und Multitasking kaum vorstellbar. Sie sind meist rund um die Uhr über Smartphone oder Messenger-Dienste erreichbar. Ständig rieseln online Nachrichten, Bilder und andere Informationen auf sie ein. Zu dieser permanenten Informations-Überflutung kommt ein allgegenwärtiger Erlebnisdruck. Dies alles überfordert auch jüngere Menschen und führt immer wieder zu Stresssituationen - sowohl psychisch als auch physisch.
Wie macht sich ein Burnout bemerkbar?
Grüttert: Wie der Name schon andeutet (englisch: "Ausgebranntsein"), handelt es sich hierbei um einen tiefgreifenden psychischen und körperlichen Erschöpfungszustand. Typische Symptome sind Antriebs-, Freud- und Mutlosigkeit. Eine zunehmende geistige Distanz oder negative Haltung zum eigenen Job sowie ein verringertes Leistungsvermögen im Beruf sind ebenfalls kennzeichnend für dieses Erschöpfungssyndrom. Hinzu kommen in manchen Fällen körperliche Beschwerden wie etwa Kopf- und Rückenschmerzen, Schlafstörungen oder Darmprobleme. Grundsätzlich unterscheiden sich die Beschwerden jedoch individuell erheblich.
Kritisch wird es, wenn Betroffene nicht mehr abschalten und regenerieren können, wenn die Arbeit auch in der Freizeit Denken und Handeln bestimmt oder Betroffene nicht mehr in der Lage sind, täglichen Verpflichtungen nachzukommen. Spätestens dann geht es nicht mehr ohne professionelle Hilfe. Je früher die Therapie beginnt, desto effizienter und schneller ist übrigens erfahrungsgemäß der Behandlungserfolg. Ohne therapeutische Unterstützung kann ein Burnout bei ausgeprägten Symptomen in eine Depression übergehen.
Was würden Sie burnout-gefährdeten Millennials im beruflichen Alltag raten?
Grüttert: Hilfreich ist es, sich selbst eigene Belastungsgrenzen klar zu machen und die eigenen Ansprüche und Erwartungen entsprechend zu korrigieren. Auch einmal "fünf gerade sein lassen" und nicht immer alles 150-prozentig machen wollen - so lautet die Devise für entspannte Zeiten. Denn: Vielfach von einem Burnout betroffen sind Perfektionisten oder Menschen, die Schwierigkeiten haben "nein" zu sagen.
Ebenso wichtig ist es darum, die eigenen Bedürfnisse nicht immer hintenanzustellen und auf Bitten auch einmal negativ zu reagieren. Denn wer zu sehr auf andere Menschen Rücksicht nimmt und seine eigenen, berechtigten Interessen und Bedürfnisse ignoriert, der erhöht unter anderem sein Risiko eines Burnout-Syndroms. Empathie ist zwar eine wünschenswerte Eigenschaft, aber dabei sollte man das eigene Wohlergehen im Blick behalten.
Mein Tipp: Oftmals genügen schon kleine Maßnahmen wie Arbeitszeitverkürzung, Homeoffice (zumindest zeitweise) und mehrmalige Kurzurlaube statt der einmaligen mehrwöchigen Sommerferien für eine bessere Work-Life-Balance.
Und was können Angehörige tun?
Grüttert: Helfen kann ich als Angehöriger vor allem durch Anteilnahme und Verständnis. Fundierte Informationen über die Erkrankung und deren typische Symptome helfen nicht nur dem Patienten bei der Einordnung seiner Beschwerden. Angehörigen, die über Ursachen und Hintergründe einer psychischen Erkrankung Bescheid wissen, fällt es in der Regel auch leichter, die Betroffenen sinnvoll zu unterstützen und Anteilnahme zu zeigen.
Nun kommt die kalte und dunkle Jahreszeit auf uns zu, die bekanntlich aufs Gemüt drücken kann. Was können Arbeitgeber in der Zeit für ihre jüngeren Arbeitnehmer tun?
Grüttert: Arbeitgeber können hier durch Flexibilität und Verständnis viel bewirken. Moderate, aber motivationsfördernde Arbeitsbedingungen schützen ebenso vor einem Burnout wie ein ansprechender Gestaltungsfreiraum. Wichtig sind prinzipiell sinnvolle, relevante Tätigkeiten. Denn mangelt es an Anerkennung und Bestätigung, Erfolgserlebnissen und Herausforderungen, so droht ein "Boreout" (englisch "boredom" = "Langeweile"), also die weniger bekannte Variante des Burnouts.
Darüber hinaus fördern regelmäßige Pausen mit ausreichenden Entspannungsmöglichkeiten und ein gesundheitsförderndes, freundliches Betriebsklima die psychische Ausgeglichenheit der Mitarbeiter. Dabei sind auch Kleinigkeiten von Bedeutung. So sollten beispielsweise auch im Büro gute Lichtverhältnisse herrschen. Spezielle Lampen mit 2.500 bis 10.000 Lux (ohne schädlichen UV-Anteil) fördern nachweislich die Ausschüttung des Glückshormons Serotonin.
Mit welcher Burnout-Entwicklung müssen wir künftig bei den noch jüngeren Generationen rechnen?
Grüttert: Es ist eine weitere Zuspitzung zu befürchten. Nicht zuletzt, weil auch unser rigoroses Leistungsprinzip immer früher ansetzt. Der Druck beginnt doch oftmals bereits in der Kindheit: Die Erwartungen der Eltern und die Ansprüche der Schule sind in den letzten Jahren zunehmend gestiegen. Das Ergebnis: Selbst Schüler benötigen heute immer häufiger therapeutische Hilfe - und das immer früher: Experten gehen davon aus, dass heute fast jeder Fünfte in seiner Jugend eine depressive Phase erleidet. 50 Prozent der depressiven Episoden finden vor dem 31. Geburtstag statt, wobei bis zu 20 Prozent der Bevölkerung im Leben an einer Depression erkranken werden - Tendenz steigend. Die Stärkung unserer seelischen wie körperlichen Abwehrkräfte wird dementsprechend immer wichtiger. Doch dies kann durch die medialen Welten oft nicht vermittelt, geschweige denn gefördert werden.
Dr. Torsten Grüttert ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Chefarzt der Haku-Privatklinik Duisburg. Behandlungsschwerpunkte sind Stress-Erkrankungen wie Burnout, Depressionen, Angststörungen sowie psychosomatisch bedingte Schmerzstörungen.