Auch wenn die Auffassung weithin verbreitet ist, müssen wir uns wohl oder übel von dem Gedanken verabschieden, dass mit der Genesung von einer Covid-Infektion wieder alles gut sei.
Denn mehr als die Hälfte der Corona-Patienten leiden auch im Anschluss an eine Erkrankung noch monatelang, vielleicht sogar für immer, an schweren Folgeschäden. Denn von Covid-19 genesen heißt noch lange nicht gesund sein.
Folgeschäden sogar bei leichtem Verlauf
Andreas Stallmach ist Leiter einer der ersten Post-Covid-Ambulanzen. Bereits seit vergangenem August betreut er in seiner Einrichtung im Universitätsklinikum in Jena Patienten, die unter Corona-Folgeschäden leiden. Und obwohl in der Zwischenzeit bundesweit immer mehr vergleichbare Einrichtungen entstanden sind, kommen sie mit der Terminvergabe kaum hinterher.
So erklärt der Experte gegenüber Focus Online, dass bei "60 bis 70 Prozent der Covid-Patienten, die stationär behandelt wurden", Folgeschäden auftreten. Bei denjenigen, die nicht ins Krankenhaus mussten sind es rund 20 Prozent. Darunter auch Menschen mit vergleichsweise leichtem Verlauf.
Vor Covid-19 ist kein Organ sicher
Besonders schwer wiegt die Tatsache, dass man das Krankheitsbild noch immer nicht vollständig einschätzen könne, so der Experte. Bei manchen lassen die Folgeerscheinungen mit der Zeit nach, während andere Patienten wiederum starke Rückschläge erleiden.
Den Grund sieht Stallmach darin, dass Covid-19 nicht wie zunächst angenommen eine "schwere Lungenentzündung" ist, sondern tatsächlich alle Organe angreift und teilweise langfristig schädigt.
Das Immunsystem gerät außer Kontrolle
So berichtet der Experte, dass teilweise junge Menschen im Alter von 18 bis 20 Jahren mit gelähmten Armen oder Beinen zu ihm kommen. Ursache sind die starken Gefäßentzündungen, die eine Covid-19-Erkrankung auslöst und die darüber hinaus nicht nur zu "Herzmuskelentzündungen, Vernarbungen in der Lunge, sondern auch neurologischen Störungen bis hin zum Schlaganfall" führen können.
Doch neben "diesen entzündlichen Prozessen" stelle auch eine übermäßige Reaktion des eigenen Immunsystems eine besondere Gefahr von Covid-19-Erkrankungen dar, die Stallmach mit einem Waldbrand vergleicht:
Ein bisschen kann man sich das vorstellen wie bei einem Waldbrand, bei dem die Feuerwehr, unser Immunsystem, ein "Gegenfeuer" legt. Das Gegenfeuer gerät außer Kontrolle (...) Und dann verbrennt der ganze Wald.
Post-Covid-Beschwerden sind keine Einbildung
Dem Experten zufolge ist es bei der Anamnese entscheidend, die Patienten "nicht mit Scheuklappen zu betrachten", sondern den Symptomen und ihren Ursachen genau auf den Grund zu gehen.
Denn nicht nur der Körper, sondern auch die Psyche von ehemaligen Covid-Patienten kann durch eine Erkrankung starke Schäden, wie "gesteigerte Ängstlichkeit, Konzentrationsstörungen oder Depressionen" davontragen.
Es spiele eine große Rolle, die Patienten überhaupt zu sehen. Mit dem Motto "Stell dich nicht so an" sei hier niemandem geholfen, denn Post-Covid-Beschwerden sind keine Einbildung und müssen ernst genommen werden.